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Talk im Bock

Wie erlebte Achim Staudenmaier den Hamas-Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober 2023? 



Foto: Julian Aicher
Joachim Rogosch im Gespräch mit Achim Staudenmair

Leutkirch – Montagabend, 29. April, gegen 19.33 Uhr. Der „Bock“-Saal rappelvoll mit rund 150 Leuten. Gesprächs-Gast beim „Talk im Bock“: Leutkirchs Polizeichef Achim Staudenmaier. Seit gut drei Wochen ist der 51-Jährige von einem einjährigen Einsatz als Schutzmann in Ramallah (Westjordanland/Israel) zurück. 

Ausnehmend großes Publikumsinteresse: 150 Personen kamen zum Talk im Bock mit Leutkirchs Polizeichef Achim Staudenmair. Foto: Julian Aicher

„Jetzt müssen wir ganz ruhig bleiben.“ Dieser Rat eines Mitarbeiters der veranstaltenden Volkshochschule an seine Kollegin scheint verständlich. Denn auch nach offiziellem Beginn des Talks suchen Interessierte am Eingang nach einem der wenigen noch freien Sitzplätze. Zusatz-Stühle werden reingetragen. 

So groß die Neugier auf ein Thema, das derzeit mehrmals täglich Nachrichtensendungen mitprägt: Krieg in und um Israel. Vor allem der Landstrich Gaza dort. Moderator Joachim Rogosch stellt das Gebiet als „halb so groß wie Berlin“ vor – oder „doppelt so groß wie Leutkirch“ (flächenmäßig). Wie erlebte „Talk-im-Bock“-Gast Achim Staudenmaier den Hamas-Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober 2023?

Bevor er genauer darüber berichtet, zeigt Staudenmaier einige Bilder. Zum Beispiel einen Vater, der mit seinem kleinen Kind spazieren geht – auf dem Rücken eine Waffe. Der Polizist aus Leutkirch berichtet von einem Terror-Anschlag mit einem Auto. Achim Staudenmaier sei in seiner Freizeit zufällig dort vorbeigekommen. Die palästinensische „Sicherheitsorganisation“ habe den Fahrer erschossen. Staudenmaier: „Dass es da zu einer Festnahme kommt, ist selten.“

Raketen am Himmel über Jerusalem 

Den einjährigen Aufenthalt im Westjordanland schildert Achim Staudenmaier als „wahnsinnig spannend“. Zwar habe er nie direkt Todesangst gespürt, aber über jenen 7. Oktober 2023, an dem die Hamas Israel angriff, spricht Staudenmaier, als sei es gestern gewesen. Über Jerusalem, wo der Leutkircher Polizist damals wohnte, seien Raketen am Himmel erkennbar gewesen. Von einer Warn-App, die Staudenmaier bei sich gehabt habe, sei er aus dem Schlaf gerissen worden. Von seiner Vermieterin daraufhin die laute Ansage: „Jetzt weg, runter, mitkommen.“ Im so erreichten Keller sei er dann mit anderen den ganzen Tag geblieben. Sechs Angriffswellen erschütterten damals Israel.

Die Zeit danach habe man von der Bevölkerung „nicht viel gesehen“. Bars und Schulen geschlossen. Aber kein Mangel an Klopapier – wie während Corona in Deutschland. Der dienstliche Gast aus Deutschland über seinen Einsatzort Ramallah: „Das Leben hat funktioniert.“ 

Trotzdem: Verunsicherung. Polizeikollegen seien wegen der bedrohlichen Lage manchmal nicht zur Arbeit gekommen. Die palästinensischen unter ihnen hätten anfangs auch ihr Gehalt von Israel aus nicht pünktlich ausbezahlt bekommen. Da habe der Leutkircher Polizist im Auftrag der Europäsichen Union zu seinem Arbeitsauftrag, etwa Gender zu unterrichten, von palästinensischen Kollegen und Kolleginnen gehört: „Das ist jetzt gerade nicht die Zeit.“ 

„Wir sind hier, um Frieden in den Nahen Osten zu bringen“, erinnert sich Achim Staudenmaier an seinen Einsatz-Auftrag. Erinnerbar etwa auch an den 24. Dezember 2023 bei einem viersprachigen Gottesdienst – gar nicht weit weg vom „Birthplace of Jesus“. Diese kurzfristig abendliche Friedensstimmung erlebte Staudenmaier in einem gefährlichen Gebiet. Denn auch „im Westjordanland gab es Tote und Verletzte“. 

Dennoch: Für den am heftigsten umkämpften Gaza-Streifen sieht Staudenmaier größere Zukunfts-Chancen als für das Westjordanland. In Gaza erkennt er eine Art „Stunde Null“ – ähnlich Deutschland nach dem 8. Mai 1945. Gelegenheit für einen wirklich wirkenden Neuanfang. Im Westjordanland, wo Staudenmaier diente, verhalte sich das Ganze „wesentlich komplizierter“. Mit ein Grund, wieso er am 14. Mai noch in einer weiteren Veranstaltung in Leutkirch weitere Informationen zu Nahost liefern möchte. 

Wie bei „Talk im Bock“ üblich, durfte Achim Staudenmaier das Publikum um eine Spende bitten. Er tat’s für ein Seniorenzentrum in Ramallah. So kamen am Montagabend, 29. April, im „Bock“-Saal 1455 Euro zusammen. 

„Es braucht einen radikalen Neustart“

Staudenmaier hat sich in Ramallah nicht zum ersten Mal im Polizeidienst außerhalb Deutschlands aufgehalten. Zum Beispiel 2003 im Kosovo. Dort seien Kollegen aus Indien „mit dem Turban durch die Straßen gelaufen“. Der Kosovo: „ein Erfolgsmodell“. Denn das „peace enforcement“ von Soldaten und Polizeileuten im UNO-Auftrag habe einen „radikalen Neustart“ dort ermöglicht. Und Kiew 2015? „Kurz bevor ich kam, gab es so ein Massak …“ unterbricht sich Staudenmaier selbst – und spricht dann von einer „Aktion der Regierung“ mit offenbar rund 100 Toten. Die Auseinandersetzungen in der Ukraine habe er 2015 als ein „So-vor-sich-hin-Gedümpel“ erlebt, „auf niedriger Flamme“. Ansonsten sei ihm Kiew damals als „normale Drei-Millionen-Stadt“ vorgekommen.

Moderator Joachim Rogosch möchte schließlich von seinem Talk-Gast wissen, wie „die UNO auf Leutkirch“  gekommen sei. „Tatsächlich ist das keine so große Gruppe in der Polizei“, antwortet Staudenmaier. Wer als Polizist solche Auslandeinsätze mitmachen wolle, müsse ein einjähriges Prüfverfahren durchgehen. Dass sich ausländische Polizeileute in Krisengebieten um Sicherheit kümmern, sei sinnvoll. Denn: „Je länger man zuschaut, desto schlimmer wird es für die Zivilbevölkerung.“ Während Staudenmaier im Kosovo noch bewaffnet zum Einsatz gekommen sei, habe er in Ramallah darauf verzichtet. „Im Streifendienst Stuttgart Innenstadt ist es nicht ungefährlicher“, sagt er. 

„In Deutschland sind wir sehr gut aufgestellt“

Als Leutkircher Polizeichef ein Jahr im Ausland. Was bedeutet das? „Meine Schwester hat sich ein Jahr über mein Auto gefreut.“ Dank äußert Achim Staudenmaier in diesem Zusammenhang an seine Kollegen im Kreis Ravensburg – besonders bei der Polizeidienststelle Leutkirch. Wie beurteilt er die Sicherheit hier zu Lande? „Wir sind hier sehr gut aufgestellt.“ Auch das Verhältnis zwischen Bevölkerung und Polizei sei wesentlich vertrauter. Angesprochen von Moderator Rogosch auf polizeifeindliche Aufkleber, meint Staudenmaier über die, die sie verbreiten: „Mit denen würde ich gerne mal reden.“ 

Das passt wohl ins Profil „Polizei, öffentliche Verwaltung, Theologie“. So schreibt es Moderator Joachim Rogosch seinem Abend-Gast Staudenmaier zu. Also „immer was am Menschen“. Offenbar mit weiter Spannbreite. Diente der 24-jährige Achim Staudenmaier beim Sondereinsatzkommando der Polizei in Göppingen, so hielt er sich später wohl ein halbes Jahr im Ambrosianum in Ehingen auf. Ziel: Herausfinden, ob Kandidat Staudenmaier doch besser Pfarrer werden sollte. Immerhin war er schon mit 18 im Kirchengemeinderat gesessen. Wie schätzt sich Staudenmaier selbst ein? „Das Wort ,Gutmensch‘ ist in Verruf geraten“, antwortet er auf diese Frage des Moderators. Aber es gefalle ihm. Im Dienst komme ihm jedenfalls immer wieder als Ziel der Gedanke: „Wir sollten es besser machen.“ 

Weiter geht’s beim „Talk im Bock“ am 12. August mit den „Leutkircher Köpfen“. 
Text und Fotos: Julian Aicher 



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