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Ausführlicher Bericht

Gemeinderat macht Weg für Bürgerentscheid frei



Foto: Uli Gresser
Wegen des erwarteten großen Besucherinteresses war die Gemeinderatssitzung von vornherein in den Kursaal verlegt worden.

Bad Wurzach – Am 19. Januar entscheiden die Bürger von Bad Wurzach, ob der seit Jahren diskutierte Naturerlebnis- und Beobachtungsturm im Wurzacher Ried gebaut wird oder nicht. Die Ansetzung eines Bürgerentscheides wurde gestern Abend (16.9.) vom Gemeinderat einstimmig beschlossen. Die Alternative wäre die Aufhebung des Baubeschlusses vom Mai gewesen. Nach dem Baubeschluss hatte eine Initiatorengruppe 4250 Unterschriften gesammelt, von denen 3958 nach einer langwierigen Prüfung als gültig anerkannt wurden. Die Gruppe lehnt das 4-Millionen-Projekt, das vom Land stark gefördert wird, unter anderem aus Kostengründen ab. Die Zahl der Unterschriften liegt weit über dem notwendigen Quorum und hat dazu geführt, dass der Gemeinderat vor die Entscheidung gestellt war: Bürgerentscheid ja oder Turm nein. In der intensiven Aussprache, bei der Mit-Initiator Herbert Birk Gründe contra Turm ausführlich darlegen konnte, wurde deutlich, dass der Gemeinderat weit überwiegend das Turmprojekt nach wie vor befürwortet; die Befürworter sehen ein großes touristisches und wirtschaftsförderndes Potenzial. Jede der vier Fraktionen gab entsprechende Erklärungen ab. Die Räte entschieden sich deshalb folgerichtig für die Ansetzung des Bürgerentscheides.

Bereits bei den Fragen der Bürger hatte der Turmbau m Mittelpunkt gestanden. Markus Wäscher fragte an, mit wie vielen Besuchern die Stadt rechne und wieviele Betriebstage zu erwarten seien. Bürgermeisterin Alexandra Scherer rechnet mit 40.000 Besuchern, die Betriebstage würden im Rahmen eines Betriebskonzepts festgelegt.

Walter Widler fragte an, wie die Standortfindung erfolgt sei, wie hoch die jährliche Abschreibung sei und wie die Standortwahl zustande gekommen sei. Desweiteren wollte er wissen, wie im Brandfalle ein zweiter Rettungsweg aussehen werde. Der Standort im Torfwerk sei eigentlich schon von allen Beteiligten festgelegt gewesen, ehe das Regierungspräsidium die Prüfung alternativer Standorte verlangt habe. Dabei habe sich der ursprünglich geplante Standort als der Beste erwiesen. Laut Ulrich Möllmann bezifferte der Architekt die jährlich Abschreibung bei einer 40-jährigen Nutzungsdauer auf 100.000 € pro Jahr.

Bürgermeisterin Alexandra Scherer ging beim Einstieg in den Tagesordnungspunkt zunächst auf die Zulässigkeit der Fragestellung ein  – „Sind Sie dafür, den Gemeinderatsbeschluss (Baubeschluss) „Naturerlebnis- und Beobachtungsturm im Wurzacher Ried“ vom 13.05.2024 aufzuheben und damit gegen den Bau eines Naturerlebnis- und Beobachtungsturms im Wurzacher Ried?“ – die laut behördlicher Vorgabe positiv formuliert sein musste. Martin Tapper erläuterte das Ergebnis dieser Überprüfung. Die Fragestellung sei zulässig und korrekt, die Fragestellung nicht zu beanstanden. Einzig die Verknüpfung der beiden Fragen mit einem „und“ habe von der Kommunalaufsicht hinterfragt werden müssen. Sie sei rechtlich zulässig.

Die Unterschriften

Dezernent Ulrich Möllmann gab das Ergebnis der Zulässigkeitsprüfung bekannt: Von den 4250 übergebenen Unterschriften pro Bürgerentscheid erwiesen sich 258 als ungültig, zumeist weil die Betreffenden nicht wahlberechtigt sind. 34 Personen hatten doppelt unterschrieben. Damit ergeben sich 3958 gültige Ja-Stimmen, die für die Abhaltung eines Bürgerentscheids votierten.

Bei der Aussprache über das weitere Vorgehen bekamen die Vertrauensleute Herbert Birk und Andreas Bader (Armin Gut hat aufgrund beruflicher Veränderung seinen Posten als Vertrauensmann aufgegeben), die Gelegenheit noch einmal ihre Gründe für die Unterschriftenaktion darzustellen.

Birk dementierte den da und dort seiner Initiativgruppe gemachten Vorwurf, die Kinderbetreuungszeiten seien aus Kostengründen aufgrund des Turmbaues reduziert worden; so etwas habe er nie gesagt. Ungeachtet dieses Dementis kritisierte Birk, dass bei der Gemeinderatssitzung am 13. Mai unmittelbar nach dem Baubeschluss die Gebühren in den Kindergärten erhöht wurden.

Franz-Josef Maier, Gemeinderat der MirWurzacher, antwortete ihm daraufhin, dass dies geschehen sei, um den Tarifvertrag zu erfüllen. Birk stelle da Zusammenhänge zwischen dem Investitionshaushalt und dem Gebührenhaushalt her, den es so nicht gebe.

Als Angriff auf den Gemeinderat als gewählte Vertretung der Bürger empfand Klaus Schütt, Gemeinderat der CDU, den Vorwurf Birks, dass der notarielle Kaufvertrag zwischen Stadt und Land nicht öffentlich gemacht werde. Durch den Verkauf von Riedwiesen an das Land hatte die Stadt für den Turmbau 800.000 € erhalten. Bürgermeisterin Scherer verwies auf die Presseberichte über die Besuche der beiden Staatsekretäre, die diese Verkäufe öffentlich machten. Weitere Vorwürfe von Birk betrafen den Zustand des Kurparks und der dortigen Brücken. Er forderte einen sanften Tourismus mit maßvoll ausgebauten Aussichtspunkten.

Birk erklärte auch, dass die Unterschriften nicht alle aktiv an der Haustüre gesammelt worden seien, viele seien „automatisch“ gekommen und per Post oder direkt in den Briefkasten geworfen worden. 2500 Unterschriften seien so unaufgefordert abgegeben worden, was als Stimmungsbild für Unzufriedenheit in Gemeinde gewertet werden könne.

„Das Geld wäre versenkt“

Neu-Gemeinderat Manfred Braun, Freie Wähler, berichtete von seiner Recherche im Bezug auf den Turm im Pfrunger Ried. Sowohl die Bürgermeisterin von Ostrach als auch ein dortiger Gastronom bestätigten, dass mit dem Turm eine klare Belebung des Tourismus einher gegangen ist. „Nachdem von den 660.000 € Eigenanteil der Stadt laut aktueller Kostenberechnung 405.000 € bereits bezahlt sind, halte ich es als Gemeinderat für unverantwortlich, nicht weiterzumachen. Das Geld wäre versenkt!“

„Die Schönheit des Riedes lenkend erschließen“

Vor den Abstimmungen ging Bürgermeisterin Scherer noch einmal auf die Beweggründe , die zum Bau des Turmes führen sollten, ein. „Die Schönheit des Riedes an dieser Stelle sollte für alle auf geleiteten Wegen gezeigt werden.“ Die Machbarkeitstudie an diesem bereits vorbelasteten Standort sei positiv ausgefallen. Die Finanzierungsmöglichkeit sei für den städtischen Haushalt sehr gut. „Die Anzahl der Unterschriften ist allerdings schon ein starkes Signal.“ Als Bürgermeisterin liege ihr der Frieden in der Stadt sehr am Herzen. „Ich hätte mir schon vorstellen können, von dem Projekt abzusehen.“ Denn: Der Tourismus in Bad Wurzach sei „mit und ohne Turm zukunftsfähig“.

Emina Wiest-Salkanovic bezog für die CDU-Fraktion Stellung. Diese sei mehrheitlich für den Turm. Sie warf den Blick weit zurück auf die Anfänge des Projektes im Jahr 2015, also noch zur Amtszeit von Scherers Vorgänger Roland Bürkle eine Machbarkeitsstudie gemacht wurde. Die Pläne wurden 2017 konkreter, 2018 mit dem Besuch des (begeisterten) Ministerpräsidenten Kretschmann ging es in die konkrete Planungsphase. In der Stellungnahme der CDU ging Wiest neben der Chronologie auch auf die Kostenentwicklung ein: Von der ersten Kostenschätzung 2020 sind die Kosten von 1,45 Millionen € bei einer konkreten Kostenberechnung auf nunmehr 3,9 Millionen € gestiegen. Die Gründe dafür sind zum einen in der Konkretisierung der Planung mit Gründung und Brandschutzmaßnahmen sowie den erforderlichen Erschließungsmaßnahmen, aber auch durch die enormen Preissteigerungen im Bausektor zu finden. Die CDU sehe es daher als richtige Maßnahme an, den ursprünglichen Förderantrag zurückzuziehen; die nun genehmigte  Maximalförderung zeige, „dass das Land hinter dem Projekt steht.“ „Wollen wir tatsächlich auf ca. 2,5 Millioen € verzichten und das Geld einer anderen Kommune überlassen und uns die Möglichkeit verbauen, die nächsten Jahre erneut eine Förderung zu bekommen? Das wäre doch der falsche Weg.“

„Ein Bürgerentscheid ist ein faires Mittel“

Eine gut durchdachte Besucherlenkung würde Menschen in die Stadt bringen, was der Gemeinschaft zugutekomme. „Dass dieser Turm Bad Wurzach dermaßen spalten kann, hatte keiner von uns wirklich so auf dem Plan.“ Es habe zwar schon vor 2023 unterschwellig Widerstand gegeben, dieser sei aber erst, als es auf den Baubeschluss zuging, lauter geworden, so laut, dass selbst im Umfeld der Räte keine sachlichen Diskussionen mehr möglich waren. Ein Bürgerentscheid sei ein rechtlich faires Mittel, die Bevölkerung in einer Abstimmung mit entscheiden zu lassen. „Die CDU-Fraktion im GR wird heute mehrheitlich für einen Bürgerentscheid stimmen, auch wenn dieser weitere Mehrkosten und weitere zeitliche Verzögerungen verursacht“, sagte sie anschließend (tatsächlich stimmten dann alle CDU-Räte für das Ansetzen eines Bürgerentscheides).

„Vermutungen und Halbwahrheiten“

Für Kurt Miller, der die Position der Fraktion der Freien Wähler erläuterte, sah eine Diskrepanz zwischen dem Wissensstand des Gemeinderates und der Bevölkerung. „Vermutungen und Interpretationen wurden und werden nach und nach zu Halbwahrheiten. Hier wollen wir gegensteuern und versuchen, gemeinsam mit dem ganzen Gemeinderat für Aufklärung zu sorgen.“ Der kürzlich aufgestellte Fragenkatalog der Freien Wähler sei von der Stadtverwaltung innerhalb kürzester Zeit beantwortet worden. Die Befragung der Bürger sei wichtig, der Turm sei ein Meilenstein für den Tourismus in Bad Wurzach, ein Aushängeschild. Miller verwies auf die Homepage der Stadt und die Protokolle des Gemeinderates, die eine einfache selbstständige Information ermöglichen. Die Freien Wähler wollen zudem mit Präsenzveranstaltungen mit Kritikern und Befürworter ins Gespräch kommen. 4000 Unterschriften seien eine große Zahl an Kritikern. „Wir gehen aber auch davon aus, dass es eine ähnlich hohe Zahl an Personen in Bad Wurzach gibt, die eine Chance für die Stadt und uns alle in diesem Turm sehen.“ Die Fraktion der Freien Wähler positioniere sich gesamtheitlich klar für den Bau des Turmes.

Rainer Deuschel, Gemeinderat von Bündnis 90 / die Grünen, kündigte für seine 2-Mann-Fraktion ein Votum „pro Bürgerentscheid“ an. Er appellierte an alle, das Ergebnis dann auch zu akzeptieren.

Franz-Josef Maier (MirWurzacher) sieht in der Diskussion um den Turm eine negative Grundeinstellung zur Stadt Bad Wurzach mitschwingen. Die Situation in Bad Wurzach schlecht zu reden, bedeute eine Herabsetzung all derer, die sich tagtäglich in Gastronomie und Geschäften, aber auch in Gesundheitseinrichtungen und Tourismusbetrieben um attraktive Angebote bemühen. „Für eine kleine Stadt wie Bad Wurzach ist es erstaunlich, wie viele Einrichtungen im Gesundheits- und Tourismussektor wir haben, die alle davon leben, dass Menschen in die Stadt kommen.“ Die Liste der in den letzten Jahren verwirklichten Projekte sei beeindruckend lang. Und das alles ohne Neuverschuldung! Im Gegenteil, die Stadt konnte den Schuldenstand deutlich verringern.

„Industriebrache erfahrbar machen“

„Der Standort im Industriedenkmal ist eine einmalige Chance, aus einer Industriebrache einen geschichtlichen Erfahrungsort vom Leben im und rund um das Moor zu machen.“ Die umfangreichen, zeitintensiven Voruntersuchungen, zeigten dass der Naturschutz an dem Standort ausreichend gewährleistet sei. Die außergewöhnlich hohe Förderung zeige, dass das Land in dem Projekt ein Leuchtturmprojekt für die Vereinbarkeit von Naturschutz und Tourismus siehe. Wozu nicht unerheblich die erfolgreiche Arbeit des Naturschutzzentrums beigetragen habe. Die MirWurzacher würden bei der Abstimmung klar für den Bürgerentscheid stimmen, auch wenn die Verwaltung bis an ihre Belastbarkeit beanspruchen werde, sagte Maier. Er bat daher die Vertrauensleute darum, der Terminverschiebung um eine Woche auf den 19. Januar 2025 zu zustimmen.

„Der Turm ist eine klare Investition in den Standort Bad Wurzach“

Die HGV-Vorsitzende Christiane Vincon Westermayer bezog im Namen des HGV-Vorstandes ebenfalls Pro-Bürgerentscheid Stellung. „Eine erfolgreiche Umsetzung des Projektes ,Turm im Ried‘ sehen wir als klare Investition in den Standort Bad Wurzach.“ Der Turm sei so ein Investment. Für so ein Projekt müsse auch die bestehende Infrastruktur gepflegt werden. Durch eine gezielte und intelligente Besucherlenkung müsse eine Verbindung Turm-Ried-Innenstadt hergestellt werden. Bei einem solchen Zukunftsprojekt seien Einbeziehung von Partnern genauso wichtig wie eine permanente und transparente Übersicht über Planungsstand und Kostenübersicht.

Ernestina Frick (FW), Gemeinderätin und Ortsvorsteherin in Haidgau, mahnte an, dass die Bürger sich informieren sollten, appellierte zugleich aber auch an die Verwaltung, die Infrastruktur in der Stadt zu verbessern.

Bürgermeisterin Alexandra Scherer beschrieb im Falle der Pro-Bürgerentscheid-Abstimmung den enormen Aufwand in der Vorbereitung des Urnengangs. Daher bat sie die Vertreter des Bürgerbegehrens darum, den 19. Januar als Datum der Abstimmung mitzutragen, also einen Tag, der zeitlich etwas von der Weihnachszeit wegverlagert ist, was diese nach einer kurzen Bedenkzeit auch taten.

Einstimmig wurde vom Gemeinderat für die Durchführung des Bürgerentscheides am 19.Januar 2025 votiert. Zuvor hatte es eine Null-Zustimmung für die Beschluss-Vorlage, den Baubeschluss vom 13. Mai aufzuheben, gegeben. Dies war erforderlich, um den Weg zum Bürgerentscheid freizumachen.

Einstimmig abgelehnt wurde vom Rat die Durchführung einer von außen kommenden Dialogischen Bürgerberatung im Zusammenhang mit dem Bürgerentscheid, die weitere Kosten verursacht hätte.
Uli Gresser



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