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Kabarett in uriger Wirtshausstimmung im Dietmannser „Adler“

Ein Mann, ein Stuhl, eine Bühne



Foto: Fred Nemitz
Seit 35 Jahren betreibt Dieter Hierlemann mit seiner Frau Iris den „Adler“ in Dietmanns als Kleinkunstbühne. Top-Leute wie der Kabarettist Christian Springer geben sich hier die Klinke in die Hand.

Dietmanns – In Bad Wurzach, dem ältesten Moorheilbad Baden-Württembergs, befindet sich eine Kultur-Perle der besonderen Art: die Kleinkunstbühne „Adler“ in Dietmanns. Seit 35 Jahren spielen dort Musiker und Kabarettisten aus der gesamten Republik. 99 Zuschauer fasst der Saal in der oberen Etage. Iris und Dieter Hierlemann betreiben Bühne und Gasthaus. Für Besucher wie Sieglinde Schiller ein guter Platz zum Zuhören, Nachdenken und Lachen. So wie heute.

Der Parkplatz ist voll an diesem Samstagabend Ende November. Voll mit Autos verschiedener Kennzeichen. Wer nördlich aus Biberach angereist ist, hat knappe 30 Kilometer hinter sich. Ravensburg bringt es auf etwa 40, Lindau auf 60. Umgeben vom Wurzacher Ried, den Haidgauer Quellseen und dem Barockpferdehof S. Gelf-Kapler kann man sich hier erst gutbürgerlich den Gaumen verwöhnen lassen und dann unterhaltsamer Satire, intelligenter Feinheit und humorvoller Bosheit lauschen.

An diesem Abend steht ein bekanntes Gesicht auf der Bühne: Christian Springer. Der „Schlachthof“-Co-Moderator ist Mann der ersten Stunde, ein Urgestein im „Adler“, wie das Haus von Kennern und Einheimischen abgekürzt wird. „Vielen Dank für diesen Soundcheck. Es war schön, hier zu sein“, begrüßt der gebürtige Münchner, der dieses Jahr an Silvester seinen 60. Geburtstag feiert, das Publikum. Die Zuschauer lachen. Zehn Sekunden später gibt es eine Rückkopplung vom Mikro. Die Box dröhnt. So nicht geplant, aber irgendwie passend. Die Show kann beginnen.

Trump-Wahl, Ampel-Aus und Salzsieder

Springer steigt mit dem Wahlsieg von Trump und dem Aus der Ampel-Koalition ein. Alltag eben. „Es gibt keine Rücksichtnahme der Politik gegenüber dem Kabarett. Warum soll ich also Rücksicht auf die Politik nehmen.“ In einer der ersten Reihen sitzt Sieglinde Schiller, geboren 1940 in Stuttgart, wohnhaft in Bad Wurzach. Sie ist mit Freunden da und resümiert gleich zu Beginn: „Richtiges Kabarett muss politisch sein.“ Passend, denn der nächste politische Kalauer lässt nicht lange auf sich warten. „Steinmeier hat den Lindner entlassen. Und ich habe nur eines gedacht: Hoffentlich machen sie ihn jetzt nicht zum Verkehrsminister.“

Als Bayer spielt Springer natürlich auf die Millionenpleite der Autobahn-Maut an und legt direkt nach: „Man muss schauen, wo man gute Nachrichten herbekommt.“ Er spricht über Physiotherapie als Allerheilmittel, über die schweigende Mehrheit der deutschen Bevölkerung, über – natürlich nicht ernstgemeint – angeblich reptiloide Politiker im Bundestag und den Bayerischen Landtag. „Ich will ja heute keine Namen nennen. Aber wussten Sie, dass Söder von Salzsieder kommt? Ein Name aus dem frühen Mittelalter“. Um dann gleich noch eins draufzusetzen: „Sieder, bleib bei deinen Leisten!“

An manchen Stellen ist das für Sieglinde Schiller harter Tobak. Aber in Summe entspricht das Gesagte genau ihrer Meinung. „Der politische Tenor passt. Und man muss auf den Putz hauen, damit man überhaupt gehört wird.“ Erst kürzlich war sie bei einer Kabarett-Veranstaltung in Bad Waldsee und hat ihre Enkelin, die sich für Geschichte interessiert, mitgenommen. „Sie hat zwar nicht alles verstanden, weil der Hintergrund gefehlt hat, aber fand es trotzdem toll.“

Demokratie, Toleranz und ehrenamtliches Engagement

Nicht nur in seinem Programm verschafft sich Christian Springer lautstark Gehör und tritt für Freiheit, Demokratie und Toleranz und gegen Ausländerfeindlichkeit und Fremdenhass ein. Auch abseits der kabarettistischen Bühne ist er politisch aktiv. Vor zwölf Jahren gründete er den Verein „Orienthelfer“ mit dem Ziel, Kinder, Frauen und Familien aus dem Nahen Osten zu unterstützen. Sein Motto: Helfen macht Freude. Er selbst war viele Male in Syrien und im Libanon und hat das Leben vor Ort hautnah erlebt. Den Hunger, das Leid, die Angst. Wehmut bei jeder Abreise: „Jedes Mal dachte ich: Bub, jetzt fliegst du zurück ins Paradies.“

Daheim in Deutschland engagiert sich Springer für die, wie er selbst sagt, Erinnerungskultur. Letztes Jahr um diese Zeit stellte er gemeinsam mit seiner Initiative „Schulterschluss am Isartor“ in München einen sechs Meter hohen Stuhl auf, der an den Hitlerputsch vor 100 Jahren erinnern sollte. Die Installation „Alles rief heil. Ein Stuhl, auf dem der Weg in Diktatur und Vernichtung begann“ mahnt. Ein Satz aus seinem aktuellen Programm „Leider“ gibt Hoffnung. „Ich bin überzeugt, dass unsere Demokratie überlebt.“ Auch an diesem Abend hat er ihn dabei.

Aliens, Kirche und Sahra Wagenknecht

Nach der Pause blickt Springer in die Vergangenheit, spricht über Bürokratie und erzählt eine Anekdote über Reinhard Furrer. Besagter gehörte in den 1980-ziger Jahren dem deutschen Astronautenkorps an und flog bei der ersten deutschen Spacelab-Mission D1 mit. „Furrer hat seinen Dienstreiseantrag korrekt ausgefüllt und 4,7 Millionen Reisekilometer angegeben. Darüber konnte der Sachbearbeiter vom Finanzamt gar nicht lachen.“ Und es geht noch weiter. „Die Menschen haben ihm immer die gleichen drei Fragen gestellt: Sind alle Aliens grün? Kann man da oben Gott sehen? Wie machen sie im Weltall eigentlich Pipi?“ Die Zuschauer lachen.

Weiter geht’s mit „Gott erschuf Aufheber und Wegschmeißer. Und das fatale ist, dass die auch noch heiraten. Meistens sind die Aufheber die Männer.“ Springer zeigt einen Parteiausweis von der PDS. „Da war ich 26 und Sahra Wagenknecht 21 und Gregor Gysi hat unser Büro in München besucht und gefragt: Wann kommt denn der Rest der Genossen? Ich fragte: Welcher Rest? Wir sind nur zu fünft.“ Den Abschluss bilden die Schriftsteller Oskar Maria Graf und Erich Kästner. Letzterer soll ersterem die Laudatio bei einer Preisverleihung verweigert haben, weil dieser wohl nicht im Frack, sondern in der Lederhose erschienen war. Eine Lederhose, die er anhatte, als er floh und um sein Leben bangte. Erinnerungskultur. Im Saal herrscht erst Stille, dann gibt es Applaus. Sieglinde Schiller und ihre Begleiter lassen das Gesagte auf sich wirken. Sie ist sehr angetan, auch wenn es viel Input war. Der Künstler geht von der Bühne, präsentiert sein aktuelles Buch – und resümiert: „Für mich ist das hier ein Wohlfühlen und Heimkommen“. Schöner kann dieser Abend nicht enden.

35 Jahre Kleinkunstbühne „Adler“ in Dietmanns

Die erste urkundliche Erwähnung des Wirtshauses gab es um 1650. Es ist Mitglied der Aktion „LandZunge“, einer Initiative, die ausgesuchte Landgasthöfe ins Blickfeld der Bevölkerung rücken möchten und die direkte, regionale Vermarktung, im Besonderen ökologisch angebauter Produkte in der Gastronomie zu fördern versucht. Im Gründungsjahr 1989 trat Uli Keuler mit seinem Programm „Geduld, Geduld, das Schlimmste kommt noch“ auf. Zehn Jahre später Die Niederträchtigen mit „Männer Liebe Leidenschaft“. 2009 Hubert Burghardt mit „Weltverbesserer. Seit Dezember 2014 firmiert die Adler-Livebühne als „Kleinkunstbühne Adler Dietmanns e.V.“ als eingetragener Verein. Mehr unter https://adler-dietmanns.de/

Die vielen Gesichter des Christian Springer.

Stellvertretend für das knappe Hundert an Besuchern.

Text und Fotos: Fred Nemitz




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