Zum Hauptinhalt springen
2010 zog die „Fähre“ in das Alte Kloster um. Im Bild die Neon-Installation von Maurizio Nannucci (2019). Foto: Andreas Gruber

Bad Saulgau – Eine kleine Stadt sucht den Anschluss an die Welt. Mit der städtischen Galerie „Fähre“ nahm die kleine Stadt Saulgau bald nach dem Krieg Kurs auf die Welt der großen Kunst. 77 Jahre ist das jetzt her. Die Fähre feiert die „Schnapszahl“ ihres Bestehens mit einer Jubiläums-Ausstellung. Eine weitere Schnapszahl spielt für diese Ausstellung eine Rolle. Seit 33 Jahren ist der städtische Kulturamts- und damit Galerieleiter, Andreas Ruess, der kreative Kopf der Fähre. Am 1. September wird er offiziell seinen Schreibtisch im Rathaus räumen und die passive Phase der Altersteilzeit antreten.

Warum die Schnapszahl und keine Ausstellung zum 75-jährigen Bestehen? Unmittelbar nach Corona und bei schwindenden Besucherzahlen habe er auf eine Ausstellung zum geraden Jubiläum verzichtet, sagt Andreas Ruess. „Aber 77 ist ja irgendwie auch ein Jubiläum.“

ANZEIGE

Es war nicht der besondere Kunstsinn der Saulgauer, der im Jahr 1947 zur Gründung der ersten städtischen Galerie in Oberschwaben nach dem Krieg geführt hat. Vielmehr betätigte sich der Gouverneur der französischen Besatzungsmacht als Geburtshelfer. Coup de Fréjac hatte die Vertreter der Stadt früh davon überzeugt, das 1947 von den Franzosen gegründete „Centre d’Information“ in kommunaler Trägerschaft zu übernehmen. Die in Kreisstädten gegründeten Centres sollten mittels Kunst und Kultur einen Beitrag zur Réeducation der deutschen Bevölkerung und damit zur Aussöhnung der einstigen Kriegsgegner leisten. Während der kunstsinnige damalige Landrat Karl Anton Maier von dem Projekt der Kommunalisierung nicht überzeugt werden musste und es förderte, brauchte es im Saulgauer Gemeinderat die Überzeugungsarbeit und den Druck der Franzosen, um sich dieser Aufgabe anzunehmen. In der wirtschaftlich schwierigen Situation nach dem Krieg mit vielen Flüchtlingen gab es aus Sicht der Saulgauer Wichtigeres als die Pflege von Kunst und Kultur.

Die Entscheidung wider Willen zahlte sich aber aus. Während alle anderen Centres aufgelöst wurden, entwickelte sich die Saulgauer Einrichtung unter einem symbolträchtigen und in die Zukunft gerichteten Namen fort und wurde zur Keimzelle weiterer kultureller Angebote wie fest etablierten Theateraufführungen und Konzerten. De Gaulle persönlich soll es gewesen sein, der Coup de Fréjac während eines Rapports in Paris den Rat gegeben haben soll, statt des ursprünglich infrage kommenden Namens „Brücke“ die „Fähre“ zu wählen, um das Verbindende der neuen Einrichtung zu betonen. Der Krieg habe gezeigt, dass Brücken anfällig seien, während eine Fähre selbst unter schwierigen Bedingungen manövrierfähig bleibe, wird eine Aussage von Coup des Fréjac im Ausstellungskatalog wiedergegeben, die dieser während seines Besuchs aus Anlass aus Anlass des 50-jährigen Bestehens der Fähre gemacht hatte.

ANZEIGE
Wachter-Grieshaber: Holz und die Kunst des Holzschnitts und der entsprechenden Drucke war immer wieder Thema in der Fähre im Rahmen der „Holzwege“-Ausstellungen. Im Hintergrund die Drucke von HAP Grieshaber, im Vordergrund “New Grange VI“ von Rudolf Wachter, das 1991 entstand. Foto: Rudi Multer

Bald wurde über Ausstellungen der Fähre auch überregional berichtet, wobei die große Kunst im kleinen Städtchen die Kommentatoren immer wieder überraschte. Mutig setzte sich die Fähre früh mit moderner Kunst auseinander, pflegte auch die regionale Kunst. Die Avantgarde der regionalen Künstler war oftmals von den Nationalsozialisten mit Ausstellungsverboten belegt worden. In der Fähre fand diese „verschollene Generation“ erstmal wieder Ausstellungsmöglichkeiten und öffentliche Würdigung. Mit Ankäufen von Kunstwerken sicherte die städtische Galerie zudem einen Teil der materiellen Grundlagen für ihr Schaffen. Die dadurch entstandene Sammlung ist Grundlage der aktuellen Ausstellung.

Das Konzept der Ausstellung umgeht geschickt eine Wiederauflage der Ausstellung aus Anlass des 50-jährigen Bestehens. Die von Ruess‘ Vorgänger Bruno Effinger geprägte Epoche findet im Kreuzgang des Klosters ihre Würdigung. Werke unter anderen von Jakob Bräckle, Wilhelm Geyer, Emil Kiess, Paul Unseld oder Gottfried Graf sind hier zu sehen. 

In den nun folgenden Räumen findet die Ära von Andreas Ruess ihren Widerhall. Sie war von anderen kulturellen, räumlichen und politischen Voraussetzungen beeinflusst, musste in einer veränderten und vergrößerten Galerielandschaft in Oberschwaben bestehen. Der Umzug von in das umgebaute frühere Franziskanerkloster im Jahr 2010 bedeutete eine Zäsur: Es gab einerseits neue Möglichkeiten Ausstellungen musikalisch und darstellerisch zu bespielen, die größere Zahl an Räumen verlangte andererseits nach einer größeren Anzahl von Werken, um sie auszustatten. Ruess löste die Anforderung mit mehr Ausstellungen mit mehreren Künstlern. „Ich habe immer nach einem thematischen Faden gesucht, um Werke und Künstler zu verbinden“, sagt Andreas Ruess. „Die Künstlerschmiede LOS“ zeigte Werke der aus dem früheren Aufbaugymnasium hervorgegangenen Künstler. „Künstler der fünf Donaustädte“, „ArtGenossen, das Tier und wir“ oder „Gestrandet in Oberschwaben“ waren solche thematischen Ausstellungen. Einzelausstellungen wie die mit dem aus Altshausen stammenden Gerold Miller, Gerhard Langefeld oder dem aus Bad Saulgau stammenden Michael Luther gab es aber weiterhin. Die Prominenten-Fotografin Herlinde Koelbl war mit einer gut besuchten Ausstellung zu Gast in der Fähre, ebenso der Biberacher Fotograf Andreas Reiner. Die Galerie öffnete sich verstärkt dem Abstrakten, weniger Figürlichen, neuen Darstellungsformen, ab und zu auch augenzwinkernd dem Humoresken. Ohne den hohen Anspruch aufzugeben, wurden Grenzen durchlässiger. Wie in einem kleinen Kabinett gibt die Ausstellung in einem Nebenraum der großen Ausstellungsräume Raum für Lokalkolorit, in dem sich selbst Ruess‘ Vorgänger Bruno Effinger wiederfindet.

Trotz unterschiedlicher künstlerischer Duftmarken der beiden prägenden Galerieleiter von 77 Jahren Fähre: Eines ist auch unter Ruess geblieben. Der Galerieleiter persönlich greift zur Bohrmaschine und entscheidet mit Hausmeister-Unterstützung vor Ort selbst, wo Bilder hängen. Zum einen wollten weder Andreas Ruess noch Bruno Effinger solche Entscheidungen aus der Hand geben, zum anderen zwingt das begrenzte Budget für Kunst und Kultur in der kleinen Stadt auch mal zum hemdsärmeligen Einsatz des Galerieleiters. Ruess drückt das so aus: „Ich backe kleine Brötchen, aber es sind meine Brötchen.“

Info: „77 Jahre Fähre – Anschluss an die Welt“, geöffnet Dienstag bis Sonntag, 14 bis 17 Uhr in der Städtischen Galerie Die Fähre in Bad Saulgau.  https://kunstverein-badsaulgau.de/galerie-faehre/

Anwalt der Kultur

Bad Saulgau – Nach 33 Jahren in den Diensten der Stadt beginnt für den Bad Saulgauer Kulturamtsleiter Andreas Ruess (63) am 1. September 2024 die passive Phase der Altersteilzeit. Am 1. Oktober wird Nachfolgerin Alexandra Karabelas die Verantwortung für die Kultur in Bad Saulgau übernehmen.

Rückblick in Postern: Andreas Ruess vor einer Wand mit Plakaten, die an die Ausstellungen in der Fähre erinnern.  Ruess ist mit der Künstlerin Ingrid Butschek verheiratet und wohnt in Bad Saulgau. Foto: Multer

Über drei Jahrzehnte war Andreas Ruess Organisator, Ansprechpartner und Prellbock bei Problemen bei kulturellen Veranstaltungen aller Art in Bad Saulgau. Die Ausstellungen in der Fähre gehörten genauso in seinen Aufgabenbereich wie das Bad Saulgauer Theaterprogramm oder die Organisation und Koordination von Konzerten. Seine Schlagzahl war und ist beträchtlich. Fast sechs Ausstellungen und acht Theateraufführungen pro Jahr gab es zu organisieren, dazu Konzerte und die Unterstützung bei Musikfestivals.

Erleichterung, wenn diese Arbeit von einem abfällt? Von einem zwiespältigen Gefühl spricht der noch amtierende Bad Sauglauer Kulturamtschef, wenn er an seinen nahen Abschied denkt. „Ich bin einerseits froh, dass ich die Verantwortung in einer Zeit abgeben kann, in der man immer mehr um sein Publikum kämpfen muss.“ Aber: „Es wird mir fehlen, meine Vorstellungen von Kunst umsetzen zu können“, so Ruess. Dazu gehöre der Kontakt zu Künstlern, Musikern und Schauspielern. Als positives Signal in schwieriger Zeit für die Kultur wertet er es, dass für seine Stelle mit Alexandra Karabelas eine Nachfolgerin eingestellt wurde. Um in der Überfülle der Veranstaltungen zu bestehen, müssten bei der Werbung verstärkt neue Wege beschritten werden. Und seine designierte Nachfolgerin habe qua ihres Alters einen besseren Zugang zu den sozialen Medien.

Dankbar ist Andreas Ruess für das große Vertrauen, das Gemeinderat und Verwaltung in seine Arbeit hatten und den großen Spielraum, den die Gremien ihm bei seiner Arbeit ließen. „Ich habe dafür versucht, die Zahlen einigermaßen einzuhalten“, so Ruess. Während seine Nachfolgerin sich zu 100 Prozent Kultur und Kunst in Bad Saulgau widmen kann, war Andreas Ruess zu 35 Prozent noch für Schulen zuständig. Eine Aufgabe, die er innerhalb der festen Strukturen der Schulpolitik nur schwer stemmen konnte. „Ich wäre gerne Anwalt der Schulen gewesen, wie ich es bei der Kultur war“, sagt er zum Abschied. Er bedauert, dass er das unter den gegebenen Umständen nicht bewältigen konnte. Für die Fähre bleibt Ruess zumindest in diesem Jahr noch im Amt. Er wird die beiden noch für 2024 geplanten Ausstellungen „Willi Siber 75“ und „Die Kösels – eine Sigmaringer Künstlerfamilie“ betreuen.

Seine Nachfolgerin Alexandra Karabelas (51) ist in Friedrichshafen geboren, hat Deutsche Literatur- und Politikwissenschaft studiert in Tübingen und Genf sowie Tanzwissenschaft in Bern. Beim Stuttgarter Ballett, dem Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, dem Theater Pforzheim, der Kunsthalle Mannheim und der Staatsgalerie Stuttgart war sie bislang als Dramaturgin und als Programmmacherin engagiert.

Autor: Rudi Multer



NEUESTE BLIX-BEITRÄGE

Editorial BLIX April 2025

Liebe Leserinnen, liebe Leser, „Schon wieder Bauernkrieg“ mag der eine oder die andere stöhnen. Richtig, das Thema beschäftigt BLIX schon seit längerem und immer wieder und nicht erst seit die Historie Thema einer Landesausstellung im Kloster Schussenried sein wird, die demnächst ihre Pforten öffnet. Die Anliegen der Bauern vor 500 Jahren waren existenziell und sind es heute noch. Es ging den Bauern um Teilhabe, Gerechtigkeit und Freiheit. Wer wollte bestreiten, dass dies auch ganz aktuell Them…

Großes Erinnern

Allgäu / Oberschwaben / Stuttgart – Vor 500 Jahren geschah im Allgäu und in Oberschwaben Unerhörtes. Wie in vielen anderen Regionen des Reiches erhoben sich auch zwischen Donau und Bodensee die Bauern gegen die Obrigkeit. Unter Berufung auf die Bibel forderten sie (Menschen-)Rechte ein. Heute gelten der Bauernkrieg und die „Zwölf Artikel“ als bedeutende Wegmarken zu einer demokratischen Gesellschaft. Überall in Deutschland, aber gerade auch in unserer Region, wird daher in diesem Jahr mit einer…

Es bedarf der Unruhe

Weingarten – Es geschah zu Ostern. In der Karwoche vor 500 Jahren brannte in Altdorf die Luft. 12.000 Bauern warteten gut positioniert auf den Hügeln hinter dem Klosterort, der heute Weingarten heißt, auf ihren Feind, den Truchsess Georg von Waldburg, Bauernjörg genannt. Der Feldherr des Schwäbischen Bundes, des Zusammenschlusses der adligen und kirchlichen Grundherren sowie der freien Reichsstädte mit Sitz in Ulm, zog von Bad Wurzach kommend, wo der Adelsmann über 2500 seiner eigenen Bauern ma…

„Es ist großartig“

Rot an der Rot – Vom 19. bis 21. März fanden erste Stellproben für das Jubiläumstheater „500 Jahre Bauernkrieg“ der Dollinger Realschule mit dem Baltringer Haufen in der Roter Pfarrkirche St. Verena statt: der imposante Auftakt eines großartigen Projektes. „Für die Freiheit! 1525-2025“

„Das Thema zermürbt uns“

Hochdorf – Die zwei maroden Brücken über die Riss und über die Bahn werden 2028 abgerissen und neu gebaut, für 18 bis 21 Monate ergießt sich während der Vollsperrung der gesamte Verkehr durch die umliegenden Gemeinden. 

Pure Passion

Ummendorf – Noch bis Ostersonntag sind in der Versöhnungskirche vier Passionszyklen höchst unterschiedlicher zeitgenössischer Künstler zu sehen. 

Die Schokolade im Wald

Ochsenhausen – Auf die Suche nach dem Frühling machten sich an einem Samstag Mitte März neun Kinder mit Mama, Papa oder Oma. Sie hatten viel Spaß und wurden fündig. 

Tierischer Spaß beim Osterbrunch

Blumenkohl-Lämmchen und Gurken-Häschen verhindern, dass Kinder sich beim Osterbrunch  nur auf Süßes stürzen.

Wenn Körper sprechen

Ravensburg – Die Ausstellung mit Skulpturen, Plastiken und Zeichnungen der polnischen Künstlerin Alina Szapocznikow ist persönlich bis zur Schmerzgrenze. Die Kuratorinnen Ute Stuffer, Direktorin des Museums, und Prof. Ursula Ströbele haben ihr den Titel „Körpersprachen“ gegeben.

Besonderer Hingucker

Kürnbach – Das Freilichtmuseum überrascht seine Besucherinnen und Besucher 2025 mit einem besonderen Hingucker: einem historischen Sodawasserkiosk aus dem Jahr 1900.

Magische Momente

Laupheim – Am 5. und 6. April laden die Laupheimer Fototage zu Multivisionsschauen, Fotoausstellungen, Workshops, Seminare und Fotomarkt ins Kulturhaus Schloss Großlaupheim ein.

Ab in den Garten!

Burgrieden-Rot – „Il faut cultiver notre jardin – Eine Reise in den Garten“  lautet der Titel der aktuellen Ausstellung im Museum Villa Rot. Inmitten des denkmalgeschützten Parks sprießen lebhafte Ideen zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler. 

Wird es nochmal spannend?

Bayern München hat nach einem mickrigen Pünktchen aus den letzten beiden Partien zuhause gegen den VFL Bochum und bei Union Berlin nur noch 6 Punkte Vorsprung auf Bayer Leverkusen. Geht da noch was für die Elf von Xabi Alonso?

Neu im Kino: Blood & Sinners

Seit Jahren warten Fans des düsteren Vampirfilm-Genres auf die lang angekündigte Neuverfilmung von “Blade”, doch der schwarze Vampir-Jäger glänzt lediglich durch Abstinenz. Diese cineastische Lücke könnte nun Michael B. Jordan mit dem neuen Blutsauger-Streifen “Blood & Sinners” füllen. Am 17. April startet der action-geladene Horrorfilm in den deutschen Kinos.

Filmpreview: The Accountant 2

Christian Wolff (Ben Affleck), der brillante und zugleich gefährliche Buchhalter mit autistischen Zügen, ist zurück. Als Spezialist für Zahlen und Geldwäsche arbeitet er für die gefährlichsten Verbrecher der Welt. Stets im Schatten und immer einen Schritt voraus. Doch diesmal wird er tiefer in ein Netz aus Korruption, kriminellen Machenschaften und persönlichen Konflikten gezogen.

ANZEIGEN

BLIX-NEWSLETTER

VERANSTALTUNGEN

ALLGÄU-OBERSCHWABEN

Isny – Der Frühling steht in den Startlöchern und mit ihm die Flohmarktsaison in der Isnyer Innenstadt. Wer mit einem S…
Bad Waldsee – Zum 300. Geburtstag von Giacomo Casanova zeigt das Erwin-Hymer-Museum die Sonderausstellung „Viva Casanov…
Isny – Der Frühling steht in den Startlöchern und mit ihm die Flohmarktsaison in der Isnyer Innenstadt. Wer mit einem S…
Bad Waldsee – Zum 300. Geburtstag von Giacomo Casanova zeigt das Erwin-Hymer-Museum die Sonderausstellung „Viva Casanov…
Bad Waldsee – Zum 300. Geburtstag von Giacomo Casanova zeigt das Erwin-Hymer-Museum die Sonderausstellung „Viva Casanov…