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Professor Dr. Wolfgang Ertel über die Energiewende

„Der Stadtwald stirbt, wenn wir dort keine Windräder bauen“



Foto: Julian Aicher
Gottfried Härle (links) leitete am Dienstagabend (21. Mai) die Gespräche zur Windkraft im „Bock“-Saal mit Professor Wolfgang Ertel (rechts) aus Weingarten. Ertel betonte dabei, wer den Leutkircher Stadtwald schützen wolle, müsse Windkraft-Türrmen dort zustimmen.

Leutkirch – „Wie nachhaltig ist Windkraft in Leutkirch und Umgebung?“  Dieser Frage ging am Dienstagabend, 21. Mai, Professor Wolfgang Ertel aus Weingarten nach. Dazu sprach der Informatiker, Mathematiker und Physiker vor rappelvollem Bocksaal. Veranstalter: das Energiebündnis Leutkirch, der Naturschutzbund Deutschland (NABU) und der Umweltkreis Leutkirch. Vortragsredner Ertel: „Der Leutkircher Stadtwald stirbt, wenn wir dort keine Windräder bauen.“ 

Pro Tag 33 Wind-Türme. „Jedes Jahr müssen in Deutschland 12.000 Windkräder gebaut werden“, rechnete Professor Ertel (Bild) am Dienstagabend im Bocksaal vor. Wolle die Bundesrepublik wirklich klimaneutral werden, müsse noch zwanzigmal mehr dafür getan werden als bisher. Umgerechnet auf die vorgeschlagenen Windriesen im Stadtwald: „Drei Windräder könnten etwa 14.000 Haushalte mit Strom versorgen.“ Also mindestens 28.000 Privatpersonen. 

Wenn im Altdorfer Wald Windkraftanlagen stehen, dann sieht das so aus wie auf dem von Wolfgang Ertel gezeigten Lichtbild. Ein ähnliches Animationsbild von den vorgesehenen Windtürmen auf Leutkircher Markung habe er noch nicht, sagte Professor Dr. Wolfgang Ertel bei seinem Windkraft-Vortrag am Dienstagabend im Bocksaal. Foto: Julian Aicher

„Weniger heizen, weniger fahren, weniger fliegen“

Statt 100 Quadratmeter nur noch 20 Quadratmeter Wohnraum. Als Gegenmodell zu großen Windkraftanlagen schlug der Weingartner Informatiker seine „große Lösung“ vor. Nämlich: „Weniger Konsum, weniger heizen, weniger fahren und fliegen – pflanzliche Ernährung.“ Das sei gar nicht so schlecht. Denn: „Wenn wir weniger konsumieren, dann sind wir glücklicher, gesünder und leben länger.“ Dies sei mit Untersuchungen in Haiti nachgewiesen worden. Problem: „Wir sind zu gierig – daran liegt’s.“  Er selbst blase inzwischen nur noch dreieinhalb Tonnen Kohlenstoffdioxid (CO2) in die Luft, erklärte der Professor. Andere Deutsche kämen da auf 11 Tonnen. Pro Jahr. Die Solarmodule auf seinem eigenen Haus im Schussental würden 9 % Rendite bringen – und günstigen Strom liefern. Auch für sein Elektroauto. 

Elektroautos als „riesengroßer Speicher“ 

Deutschland nachhaltig. „Ich bin nicht optimistisch, dass wir das schaffen“, sagte Redner Wolfgang Ertel am Dienstagabend im Bock. Andererseits gelte: „Jeder einzelne Quadratmeter Photovoltaik bringt etwas für den Klimaschutz.“  Wichtig sei, „den Strom lokal zu erzeugen“: Nur mit Windkraft und Sonne?  „Wasserkraft ist gut“, erklärte der Informatiker auf eine Frage aus dem Publikum. Dann schränkte er ein: „Wir haben in Deutschland dazu viel zu wenige Berge.“ Außerdem: „Das Biogas können Sie vergessen.“  Keine Milch, kein Fleisch, kaum Viehhaltung – so Ertels Vorschlag. „Dann sagen Sie mir doch bitte, was ich mit meinem Grünland machen soll“, wollte Landwirt Hermann Buchbinder von Ertel wissen. Der Weingartner Akademiker erinnerte an Buchenwälder, die sich einst über 80 % der Fläche Deutschlands ausgebreitet haben sollen. Das wollte wiederum Stadtrat Alfons Notz (Bürger-Forum BF) so nicht stehen lassen. Der Biobauer nannte zwei Drittel Grünfläche, die weltweit landwirtschaftliche Liegenschaften bedecken. Stattdessen nur Buchenwälder – „da wird’s eng““ für die Lebensmittelversorgung, sagte Notz. 

Wolfgang Ertlel erinnerte mit einem Schaubild an „planetare Grenzen“. Diese bezögen sich nicht ausschließlich auf Kohlenstoffdioxid (CO2). Daher sei es wichtig, „das gute alte Wort Umweltschutz wieder in den Mund zu nehmen“.  Und da sei klar, dass Windräder über Waldwipfeln die Erholungsqualität der Forsten stören könnten. Ertel: „Insofern kann ich Windkraft-Gegner verstehen.“  Und von diesen zeigten sich bei der Diskussion nach Ertels Vortrag nicht wenige. Einer von ihnen bemängelte, die Windkraftwerke lieferten gelegentlich zu viel Strom, „den wir nicht nutzen können“: Informatiker Ertel antwortete, alle Elektroautos könnten als „riesengroßer Speicher“ dienen. Aber nur, wenn die Vehikel Elektrizität nicht nur laden, sondern auch ins Netz zurückfließen lassen dürften. „Bi-direktionale Speicher“ genannt. Solche seien in Deutschland zehn Jahre verboten gewesen. Das solle jetzt geändert werden. 

„Ich habe dreißig Jahre eine Wärmepumpe gehabt“, berichtete ein Besucher. Und ergänzte: „Im Winter braucht man was dazu.“ An dem Mann könnten sich „viele andere ein Beispiel nehmen“, lobte Vortragsredner Ertel. Als der Besucher dann aber von „freier Energie“ sprach, antwortete Ertel, der Mann aus dem Publikum solle sich vor Verschwörtungstheorien hüten. Der aber betonte, das sei mit Magneten möglich. „Ich habe welche dabei“, zeigte er sich sicher. Eine andere Vortragshörerin beklagte „massive Netzschwankungen“ und „Frequenzschwankungen“. Sie betonte. „Wir haben schon viel zu viel Solar- und Windstrom.“ Nach ihren minuten-langen Ausführungen unterbrach sie Diskussionsleiter Gottfried Härle vom Energiebündnis Leutkirch und ersuchte die Frau: „Können Sie eine Frage stellen – und kein Co-Referat halten?“ Das Publikum zollte Härle dafür Beifall. 

„Zehnmal so hoch wie die Bäume“ 

Mehrmals wollten Leute im Bocksaal von Referent Wolfgang Ertel wissen: Werfen die Windflügel mit der Zeit kleine Plastikteilchen ab. Dieser „Abrieb ist nicht giftig“, versicherte Ertel. Bei seinen „Scientists for future Ravensburg“ arbeite ein Chemiker mit, der dies ermittelt habe. Der so beobachrete „Feinstaub“ mache für alle Windräder in Deutschland „nicht mehr als bei einem Feuerwerk“ aus. Daher sei er „vernachlässigbar“. Professor Ertel appellierte, „die Kirche im Dorf zu lassen“ – und die Mengenverhältnisse sachgerecht einzuordnen. 

Turmhöhen-Vergleiche: Gezeigt von Professor Wolfgang Ertel bei seinem Vortrag am 21. Mai im „Bock“-Saal. Foto: Julian Aicher

Ertels Ausführungen überzeugte eine Besucherin aus der Nähe von Aitrach nicht. „Wir versuchen, möglichst wenig zu konsumieren“, berichtete sie. Naturfreundlich sei sie mit ihrem Mann in die Waldgebiete gezogen. „Ich lebe auch davon, dass Leute zu uns kommen und sich erholen“, betonte sie. Mit Windtürmen „zehnmal so hoch wie die Bäume“, sei das dann nicht mehr möglich. Deshalb beklagte sie: „Mein Leben ist zerstört.“  Referent Wolfgang Ertel entgegnete ihr, die Windtürme müssten mindestens 600 Meter von ihrem Haus entfernt stehen. Und: „Bei sechshundert Meter hören Sie nichts vom Windrad.“ Ertel erklärte: „Jeder Euro, den wir heute in die Energiewende geben, wird sich tausendfach auszahlen.“ Mehr als einmal hörte er Lob aus dem Publikum für seinen Vortrag. 

Der „Bock“-Saal war voll besetzt. Foto: Julian Aicher

Terminhinweis: Freitag, 24. Mai, um 17.00 Uhr: Vortrag von Wetterkünder Roland Roth (aus Bad Schussenried) in der Otl-Aicher-Realschule 

Text und Fotos: Julian Aicher 




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