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Aus dem Gemeinderat

„Kein glühender Befürworter des Biosphärengebiets“



Foto: Julian Aicher
Franz Bühler aus dem Landwirtschaftsamt Ravensburg (im Bild rechts) erläuterte im Gemeinderat das angedachte Biosphärengebiet und stellte sich den vielen Bedenken und Fragen. Foto: Julian Aicher

Kißlegg – Ascher-Mittwochabend (14.2.): Gemeinderat im Esther-Saal des Neuen Schlosses Kisslegg. Tagesordnungspunkt: das „Biosphärengebiet“. Dazu kam Franz Bühler vom Landwirtschaftsamt des Kreises Ravensburg zur Ratssitzung. Mit dabei: Bürgermeister Timo Egger aus Fleischwangen. Bühler begleitet den „Dialogprozess Biosphärengebiet“. Dazu viele Fragen an Bühler von den Gemeinderatsmitgliedern. Bürgermeister Dieter Krattenmacher fasste das Ganze verschmitzt lächelnd zusammen: „Die Stimmung ist momentan noch nicht so, dass sich der Kisslegger Gemeinderat als glühender Befürworter des Biosphärengebiets gezeigt hat.“

Was ist eigentlich ein „Biosphärengebiet“? Und falls ja – würde Kisslegg dazugehören? Oder: Ginge es in der Mehr-Seen-Gemeinde auch ohne das Etikett „Biosphärengebiet“? Solche und ähnliche Fragen lagen am Mittwochabend im Gemeinderat Kisslegg in der Luft. Dialogprozess-Begleiter Franz Bühler: „Ein Biosphärengebiet ist kein Naturschutzgebiet.“  Und: „Es werden keine Verschärfungen kommen.“ Damit ging Bühler auf immer wieder hörbare Bedenken aus dem Rat ein. Dafür dankte ihm Bürgermeister Krattenmacher mit „großem Respekt“.

„Modellregion für Mensch und Natur“

„Die Nachhaltigkeit steht im Mittelpunkt“, betonte Franz Bühler. Angestrebt werde mit dem Biosphärengebiet eine „Modellregion für Mensch und Natur“. „Nachhaltig“ zugehen solle es dort in einer „ökonomischen Dimension“, in einer „ökologischen Dimension“. Dann auch „sozial“ und „politisch“. Das Gebiet könne den Kreis Ravensburg ohne die stark bebauten Orte Ravensburg und Weingarten umfassen. Zusätzlich Teile des Kreises Biberach bis zum Federsee. Nicht mehr als 150.000 Hektar. Bisher hätten sich  für’s Biosphärengebiet vier Arbeitskreise zusammengesetzt. Weitere vier Termine stünden aktuell an. Franz Bühler: „Eine Bürgerbeteiligung könnte eventuell noch kommen.“ Und 2026 dann tatsächlich das „Biosphärengebiet“?  Das sei „nicht in Stein gemeiselt“, sagte Bühler und ergänzte: „So wie man die Allgäuer/Oberschwaben kennt, wird’s eher kürzer.“

Kißlegg ist nicht Kernzone

„Wir treffen heute keine Entscheidung“, stellte Rathauschef Krattenmacher fest. Eine „große Sorge“ sei ihm genommen, dass er „keine Kernzonen mehr in Kisslegg“ sehe. Daraus leitete der Rathauschef weiterhin Bademöglichkeiten an den Seen und Weihern Kissleggs ab. Franz Bühler bestätigte Krattenmacher da. „Kernzonen“? Diese schilderte Bühler als „sehr streng geschützte Zonen“. Dort würde dann „der Natur ihren Lauf gelassen“. Dazu gehörten folglich Teile des Wurzacher Rieds „oder Bannwälder“. Solche „Kernzonen“ seien „nur auf öffentlichem Gelände“ vorgesehen.

Baden im Obersee weiterhin möglich

Als weitere Bereiche schilderte Franz Bühler „Pflegezonen“. Er sprach dabei auch von „Pufferzonen“. Dort könnten „bisher ausgeübte Nutzungsformen“ weiter bestehen. Zum Beispiel Wassergräben in bisher vorhandener Tiefe. Dazu zählte der Dialogprozess-Beauftragte für das angedachte „Biosphärengebiet“ etwa den Holzmühleweiher. Bühler: „Da kann weiterhin Badebetrieb bleiben.“ Ähnlich komme der Obersee „bestenfalls als Pflegezone“ in Betracht. Weiterhin zum Baden freigegeben. Wichtig sei dabei: „Die Flächen sollen in der Hand von Bewirtschaftern bleiben.“

„Das steht im Konflikt mit jeder baulichen Nutzung“

CDU-Fraktionschef Christoph Dürr zählte etliche Nachteile des diskutierten „Biosphärengebiets“ auf. Dazu gehöre etwa die „höhere Bevölkerungsdichte“, wenig Gelände im Eigentum von Gemeinden, Kreis, Land und Bund. Außerdem „steht der Naturschutz im Konflikt mit jeder baulichen Nutzung“. Daher behindere ein „Biosphärengebiet“ auch die Wirtschaft. Dürr weiter: „Flächen sind politisch wertvoll. Die Landwirte singen gerade ein lautes Lied davon.“  Und wenn dann ein Gemeinderat entscheide „über Flächen, die ihm nicht gehören“, sei das doch „ein unerhörter Eingriff in das Eigentumsrecht.“ So fasste der Unions-Fraktions-Häuptling zusammen: „Die Haltung der CDU-Fraktion ist eine klar ablehnende.“

„Zu wenig Konkretes“

„Wir haben zu wenig Konkretes auf dem Tisch“, beklagte auch Detlef Radke, Fraktionsvorsitzender der „Freien Wähler“ (FW). Er wollte wissen: „Welche Flächen sind dafür vorgesehen?“ Und „Welche Eigentumsrechte werden hier unter Umständen ausgehebelt?“. Radke: „Da wird über die Köpfe der Betroffenen regiert – und nicht informiert.“  Die Überlegungen für das Biosphärengebiet „kommen zur Unzeit“, bemängelte Radke. Und folgerte daraus: „Wir sind also momentan nicht für das Biosphärengebiet bereit.“ Sogar mit einem bereits arbeitenden „Biotopverbundmanager“ für Argenbühl, Kisslegg und Wolfegg.

„Sind für Naturschutz, aber nicht für ein Biosphären-Gebiet“

Würde heute schon über das „Biosphärengebiet“ abgestimmt, „dann wäre die SPD geschlossen dagegen.“ So ihr Kisslegger Fraktionschef Josef Kunz. Seine Partei sei „natürlich für Naturschutz.“ Dieser aber funktioniere doch schon erstaunlich gut im oberschwäbischen Allgäu. Kunz: „Es gibt sehr viele Biobauern, die ihr Fleisch schon länger selber vermarkten.“  Grundsätzlich betonte Kunz: „Wir würden die Entscheidung bei uns sehen und nicht bei der UNESCO.“ Ziel sei „unsere eigene Entscheidung“. Bestärkung für Kunz kam von Petra Evers (CDU). Sie machte darauf aufmerksam, „dass Kisslegg schon viel gemacht hat und macht“.

Dr. Andreas Kolb, Vorsitzender der Fraktion Grüne offene Liste (GOL), beklagte, dass Bürgermeister Krattenmacher bei einer Versammlung gesagt habe, das Biosphärengebiet gehöre „in die Schublade“. Dr. Kolb: „Da frage ich mich: Was soll ich dann noch hier?“. Darüber denke er auch seit dem Aschermittwoch 2024 in Biberach nach. Dort hatten Bauersleute laut gegen den „grünen“ Aschermittwoch protestiert.  „Ich war heute in Biberach“, berichtete Dr. Kolb. Und ergänzte gleich: „Ich bin entsetzt.“

Franz Bühler vom Dialogprozess Biosphärengebiet machte darauf aufmerksam, dass solch eine „nachhaltige“ Einstufung nicht allein dem Naturerhalt diene, sondern etwa auch die Landwirtschaft. Stichwort: Schutz und Verbesserung bestehender Biogasanlagen. Als Gemeinderärätin und Biogasbäuerin Daniela Frick nachhakte, was ein „smartes“ Biogaskraftwerk sei, legte sich Bühler nicht fest. Wichtiger war ihm: Selbst die Industrie- und Handelskammer (IHK) in Ravensburg habe sich sehr interessiert daran gezeigt. Könnten doch vielleicht an Moorflächen Pflanzen gedeihen, die sich für die Industrie als klimaneutraler heimischer Rohstoff erweisen dürfte.

„Die Leute muss man mitnehmen“

Bürgermeister Dieter Krattenmacher griff die Kritik des Grünen Dr. Andreas Kolb auf: „Das Biosphärengebiet war bei den Bauernprotesten durchaus ein Thema“. Der Rathauschef bekräftigte, ihm gehe es vor allem darum, „dass unsere Moore nicht noch mehr CO2 ausstoßen“. Um dies zu erreichen „muss man mit denjenigen, die man dazu braucht, gewinnen.“ Also die Bauersleute mit Grundeigentum. Ihnen sei eine „faire Alternative“ anzubieten. „Das muss mit den Leuten geschehen.“ Wofür „ein Grundvertrauen vorhanden sein“ müsse. Moorschutz als Klimaschutz betrachtet Krattenmacher als eine Riesen-Aufgabe – über Generationen weg.

Krattenmachers Amtskollege Timo Egger aus Fleischwangen im weiter weg liegenden Westen des Landkreises erläuterte: „Wir warten auf Daten und Fakten.“ Egger erklärte: „Wir haben das Vertrauen verloren durch diese FFH-Regelungen.“ Also EU-Bestimmungen für angeblichen Naturschutz. Gut sei bei den Überlegungen zum „Biosphärengebiet“, dass da „Leute miteinander sprechen, die zuvor noch nie miteinander gesprochen haben.“  Egger: „Das ist meine Bitte an Sie: Dass Sie abwarten, bis alle Daten und Fakten vorliegen.“ „Dann wird am Schluss ‚was rauskommen“, meinte auch Bürgermeister Krattenmacher und freute sich über den „Beitrag zur Debattenkultur“. 

„Jetzt haben wir lange darüber geschwätzt – aber entscheiden dürfen wir heute noch nicht“, sagte in der anschließenden Sitzungpause einer der Ratsmitglieder. „Debattenkultur“ setzt manchmal offenbar lange Geduldsfäden voraus.

Unter Download finden Sie die entsprechende Sitzungsvorlage.



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